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Der Komponist George Enescu

George Enescu - ein berühmter Musiker seit frühester Kindheit, hoch geschätzt in Europa und Nordamerika sowohl für seine Darbietungen als Geigenvirtuose als auch für seine bekannten Rumänischen Rhapsodien. Und doch ist dieser Musiker ein typischer Fall eines Komponisten, dessen Bedeutung schon zu Lebzeiten nicht verstanden wurde.

Enescus Neubewertung hat eben erst begonnen und begegnet daher mancher Schwierigkeit. Denn unverkennbar haben gerade Enescus auffällige musikalische Qualitäten, die ihn zu einem der gefeiertsten Geiger jener Epoche gemacht haben, in der uns Namen wie Kreisler, Thibaud und Heifetz begegnen, und die ihm zugleich ermöglichten (im Gegensatz zu den zitierten Virtuosen) auch ein großer Dirigent und faszinierender Lehrer zu sein, die Zeitgenossen dieses Künstlers daran gehindert, den Wert seiner Kompositionen richtig einzuschätzen.

Manch einer wird davon ausgegangen sein, dass es sich bei Enescus Schaffen um den verständlichen, wenn auch unmaßgeblichen Wunsch eines großen Virtuosen gehandelt hat, der sich auch einmal auf schöpferischem Gebiet versuchen wollte (wie es beispielsweise der Fall war bei Fritz Kreisler, der nicht nur einige bezaubernde kleine Werke, sondern auch ein interessantes Streichquartett geschrieben hat). Der rumänische Künstler hat jedoch Sinfonien, Suiten, eine Oper, Sonaten, Quartette und verschiedene große Orchester- und Kammermusikwerke hinterlassen. Das kollektive Gedächtnis hat aus alledem zunächst einmal die beiden Rumänischen Rhapsodien, die er 20jährig komponiert hatte, und - mit weitaus geringerem Echo - eine Sonate für Klavier und Geige "im rumänischen Volkscharakter" (op.25) ausgewählt. Damit wurde dem Komponisten Enescu also eine exotische, folkloristische Qualität zuerkannt und kurzerhand geschlussfolgert, er müsse ein pittoresker Vertreter einer "nationalen Schule" sein. Das allein ist jedoch unweigerlich zu wenig und grundsätzlich falsch.

Die Gründe für ein derartiges Missverständnis (oder, wenn wir so wollen, eines unzureichenden Verständnisses) sind vielfältig. Es wird sowohl des Komponisten sprichwörtliche Bescheidenheit dazu beigetragen haben, als auch vielleicht eine ungenügende Unterstützung von Seiten der Verleger, die zu Aufführungen und Einspielungen der Werke und zu Übersetzungen der Studien und Monographien über Enescu in die großen Weltsprachen geführt haben könnte. Es muss, denke ich, auch die Zugehörigkeit des Komponisten zu einer eher kleinen Nation berücksichtigt werden, die eine wenngleich schöne, so doch kaum verbreitete Sprache spricht. Dies führte sicher dazu, dass der bedeutende musikwissenschaftliche Beitrag, zu dem der Komponist in der letzten Jahrhunderthälfte in seiner Heimat Anlass gab, in internationalen Kreisen nahezu unbekannt blieb.

All dies wird sicherlich eine Rolle gespielt haben. Doch ich möchte nun zur Hauptursache kommen, die für den beschriebenen Zustand verantwortlich zu machen ist, und die zu den grundsätzlichen Wesenszügen des Werks Enescus gehört. Das Thema ist heikel und ich gebe mich nicht der Illusion hin, es hier auf geringen Raum abschließend klären zu können. Versuchen wir also eine zusammenfassende Skizzierung des Problems mit möglichst direkten Worten.

Man kann das Gesamtwerk Enescus grosso modo in zwei großen Perioden einteilen. Zum einen jene des Abwägens und Sammelns und zum anderen jene der Synthese. Der Komponist beginnt seine Arbeiten mit zwei bemerkenswert ausgereiften Kammermusikwerken, der zweiten Sonate für Klavier und Violine und dem Oktett für Streicher. Enescu ist noch keine 18 Jahre alt, als er die Sonate beendet und hat bei der Fertigstellung des Oktetts das 19. Lebensjahr noch nicht erreicht. Vor allem das letztere ist ein kontrapunktisches Meisterwerk von ganz außergewöhnlicher Konstruktion.

Nachdem er somit die Höhe seines Schaffens erreicht hat, ein Niveau von höchster Konzentration und höchstem Wert, beginnt er eine Reihe sehr interessanter Versuche, wobei eine jede Richtung von einem, maximal zwei Werken repräsentiert wird. Dabei hätte jeder dieser stilistischen Blickwinkel eine "Periode" im Sinne Strawinskys hervorrufen können. Wir begegnen einem geradezu überromantischen Werk (der Symphonie concertante für Cello und Orchester op.8), einer Partitur mit neoklassizistischen Zügen (der I. Orchestersuite op.9), einem Klavierzyklus, den man als Neoklassizismus impressionistischer Prägung charakterisieren könnte (der 2. Klaviersuite op.10), dann den beiden berühmten Rhapsodien op.11, die das Pittoreske der osteuropäischen Nationalschulen anbieten, der 1. Sinfonie op.13, die sich deutlich neoromantisch gibt, dem Dixtuor für Bläser op.14, das die Einheit eines alles durchdringenden Klassizismus mit den Ausläufen einer imaginären Folklore skizziert, und schließlich der 2. Orchestersuite, einem glänzenden Beispiel eines Neobarocks, der einem modernen Musikverständnis angepasst ist. Zu unterstreichen ist, dass in jedem der erwähnten Werke die unverwechselbare Persönlichkeit und Sensibilität Enescus unverkennbar bleibt.

Die beschriebenen Versuche, die angedeuteten Blickwinkel bereiten den Boden zur umfassenden Synthese. Alle diese "Wurzeln", die sich der großzügig ausgestattete Künstler, der sein Selbstverständnis aus so vielen unterschiedlichen und weit entfernten Quellen bezieht, zu Eigen gemacht hat, vereinigen sich, einer Eiche ähnlich, in einem kräftigen "Stamm". Dieser Augenblick wird bestimmt durch die 2., vor allem die 3. Sinfonie (1918) und das Quartett in Es, op. 22,1. Mit diesen Werken ist die Synthese vollzogen und mit ihr der Ursprung einer reichen "Astkrone" in Enescus Schaffen, die nunmehr keiner äußeren Stileingebung mehr Tribut zollt. Zu erwähnen sind die Oper Oedipe, die 3. Orchestersuite ("Villageoise", "Dörfliche"), die symphonische Dichtung Vox Maris und ein ausgedehntes kammermusikalisches Werk - verschiedene Sonaten, Quartette mit und ohne Klavier, ein monumentales Klavierquintett, schließlich die Kammersymphonie op.33. Zu erinnern wäre außerdem an einige vom Autor nicht beendete Werke, die jedoch sein Porträt als Komponist abrunden: die 4. und die 5. Symphonie, die Dichtung Isis, das Caprice Roumain für Violine und Orchester, die Dichtung Nuages d'automne sur les fôrets.

Bis hierhin ist die Angelegenheit nicht ungewöhnlich. "Wir haben hier also", so könnte ein aufmerksamer Beobachter feststellen, "den Fall eines Komponisten mit einem nicht sehr großen, sicherlich auch nicht kleinen Werk (in der Summe ist es in etwa vergleichbar mit dem seines Kollegen und Freundes Ravel), mit einer abwechselnden und interessanten Spannbreite, das seinen Weg zum Verständnis und Gefühl der Zuhörer eigentlich von selbst finden müsste".

Doch bedauerlicherweise verhält sich die Sache so nicht. Die meisten der erwähnten Werke tauchen im Konzertleben, in den Neuerscheinungen der Tonträger, in Radio- und Fernsehsendungen nur sehr sporadisch auf. Damit meine ich natürlich nicht das Heimatland des Komponisten (wo Enescus Präsenz im Konzertleben und den Medien durchaus der Norm entspricht), sondern das weltweite Kulturleben, in dem Enescu nicht so vertreten ist, wie dies der Wert seines Schaffens beanspruchen könnte.

Die Erklärung dafür? Die tatsächliche Erklärung, nicht jene, die durch mehr oder weniger zufällige Elemente bedingt ist? Es gibt nur eine. Die bedeutenden Werke Enescus verfügen alle über eine außergewöhnliche musikalische Informationsdichte.

Sie sind schwierig, sie sind gewissermaßen zu schwierig für die Bedingungen musikalischer Darbietung in der heutigen Zeit. Um wirklich erschlossen werden zu können, verlangen sie danach, wiederholt gehört zu werden, was nur selten möglich ist, sie verlangen den Interpreten eine Investition an Zeit, Arbeit und Mühe ab, die außerordentlich groß ist (und die meisten Interpreten unserer Tage sind doch sehr in Eile). Enescus Musik fordert also, kurz gesagt, eine liebevolle Annäherung, echte Hingabe und fast ein Glaubensbekenntnis, sowohl von den Zuhörern als auch von den Musikern. Doch wenn man einmal die harte Schale durchdrungen hat, stellt der Kern der Frucht sich als unvergleichlich süß heraus. Ein Aroma, das man so schnell nicht mehr vergisst.

Allmählich begibt sich der Komponist Enescu auf den Weg zu seinem rechtmäßigen Platz als einer der ganz Großen seiner Zeit. 50 Jahre nach dem Tod des großen Musikers kommt es nun nicht mehr auf sein Potential für Propagandazwecke an, sondern darauf, wie viele begeisterte Zuhörer sich dem rumänischen Komponisten zuwenden. Und ihre Anzahl nimmt stetig zu.

Pascal Bentoiu (2005)


Pascal Bentoiu (geb. 1927) ist Komponist und Musikwissenschaftler in Bukarest. Er veröffentlichte zahlreiche Studien über Enescu und publizierte mit Capodopere enesciene 1984 eines der bis heute maßgeblichen Werke über den Komponisten. 1990 war er der erste Präsident des rumänischen Komponistenverbandes nach dem Sturz des Kommunismus, sein Werk umfasst Opern, sinfonische und Kammermusik. Er ist Autor des Enescu-Artikels in der zweiten Ausgabe des Lexikons "Musik in Geschichte und Gegenwart".
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